KIRCHMÖSER - Ort und Geschichte

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"Wir wissen nicht, wann unser von Havelseen leuchtend umgebener Heimatort entstanden ist" beginnt der erste Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Kirchmöser im Jahre 1926 einen historischen Rückblick. Die älteste erhalten gebliebene Erwähnung findet sich auf einer Kaufurkunde im Brandenburger Domarchiv vom 25.9.1387. Sie dokumentiert den Verkauf der Seen und Wälder bei Wusterwitz und "Möser" an das Domkapitel zu Brandenburg.

Gut hundert Jahre älter dürfte die Dorfkirche in ihrem ältesten Grundbestand sein. Spuren weisen auf eine noch weit frühere slawische Besiedelung unseres Ortes hin. Wer die heutige Gränertstraße entlanggeht, hat in weniger als fünf Minuten die gesamte historische Dorflage durchschritten.
Jahrhundertelang lebten die Leute hier fleißig, redlich und ärmlich von Landwirtschaft und Fischfang. Um 1850 hatte der Ort keine zweihundert Einwohner, auch wenn man die zwei oder drei Dutzend vom "Forsthaus Gränert" mitzählt.

Die Chronik berichtet: "Das Straßenpflaster fehlte. Von irgendeinem Gewerbebetrieb konnte kaum die Rede sein. Nicht mal ein richtiggehender Dorfkrug war zu finden. Es scheint, als wenn die alten Möseraner weniger Alkohol, dafür desto mehr Seewasser getrunken hätten."

Das änderte sich schlagartig nach dem ersten Weltkrieg. Junge Männer, die das Glück hatten, lebendig nach Hause zurückzukommen, hatten das Pech, die Heimat nicht mehr wiederzuerkennen. Nicht nur, daß der Ort jetzt durchgängig "Kirchmöser" genannt wurde, im Unterschied zu Möser bei Magdeburg an der selben Bahnlinie. Viel gravierender war: Schon im Herbst 1914 waren die Felder, Wälder und Sümpfe zwischen der Eisenbahnlinie Berlin - Magdeburg und der Kleinstadt Plaue als idealer Standort für eine Pulverfabrik ausgemacht worden. Weit weg von den Fronten, doch günstig auf Wasser und Schiene zu erreichen.
Im Januar 1915 wurde auf enteignetem Land mit dem Bau begonnen, und am 1. Juli lief schon die erste Turbine. In einem Tempo, wie es für friedliche Arbeit leider sehr selten ist, entstanden Offiziersvillen am Wendsee, Baracken für französische und russische Arbeitssklaven in der Mitte der Halbinsel, Bahn- und Straßenanschlüsse, eine Brücke nach Plaue und auch der Bau, den man heute als Wahrzeichen des Ortes weithin sehen kann: Der Wasserturm.

Und wieder wendete sich schlagartig das Blatt: Der verlorene Krieg hinterließ moderne Industrieanlagen als gespenstisch nutzlose Denkmäler. Die Inflation brachte die Bauern um das Geld, das sie für die
Grundstücke erhalten hatten.                       [Seitenanfang]

Wieder fiel der Blick des Deutschen Reiches auf unsere Halbinsel. Diesmal durch die suchenden Augen der Deutschen Reichsbahn. Im Februar 1920 übernahm sie die Anlagen und baute sie zu einem der größten und modernsten Eisenbahnbetriebe in Europa aus. Lokomotiv- und Wagenreparaturwerkstatt, Chemische Versuchsanstalt und Zentralschule, sowie die Weichenabteilung wurden ein Begriff für Eisenbahner in ganz Deutschland.

Und überallher kamen Menschen, um in schwerer Zeit hier Arbeit und Brot zu finden; vor allem aus Ostpreußen, Schneidemühl und Greifswald, aber auch aus dem Rheinland, Schlesien und Sachsen.

Zwischen 1915 und 1939 wuchs die Bevölkerung von 228 auf 5427 Einwohner.

Wieder gab es ein grandioses Aufbauwerk, diesmal glücklicherweise zu dem friedlichen Zweck, Menschen angenehme, humane und naturverbundene Wohnmöglichkeiten zu schaffen. Mehrere Siedlungen wuchsen aus dem märkischen Sand. Kirchmöser - Ost und - West entstanden als völlig neue Ortsteile. In der Westsiedlung wurde eine Kirche gebaut, deren architektonisches Konzept der Zeit um Jahrzehnte voraus war. Einem Gerücht zufolge konnte der Bürgermeister einen Kasten Bier ausloben für jeden, der ihm auf der Straße ein Schlagloch zu zeigen wüßte.

Sehr bald aber zeigten sich Spuren des Niedergangs. Die stilvollen Messinglampen der Westkirche wurden 1942 für den "Endsieg" herangezogen. Das Lokwerk wurde im gleichen Jahr von der Naziobrigkeit zum Panzerwerk gemacht, das ist es bis zur Wende geblieben. Was die Rote Armee hinterlassen hat, wird wohl noch lange eine Industrieruine mit unergründlichen Schadstoffen im Boden bleiben.
Die Brücke nach Plaue wurde in den letzten Kriegstagen zerstört, wurde erst nach Jahren wieder einigermaßen instand gesetzt, und soll nun bis August 2006
ganz neu gebaut werden werden.                 [Seitenanfang]

Der Bürgermeister säße, wenn sein Versprechen heute noch gälte, im Schuldturm und wir hätten alle Freibier. 1952 kam der Ort zur Stadt Brandenburg und wurde auf das allgemeine DDR - Niveau gebracht. Zwar entstanden auch wieder neue Wohnhäuser, doch verkam vieles, was früher einmal reizvoll war.
Ein Spaziergang durch das große Eisenbahnwerk, das früher einmal vielen Menschen Arbeit gegeben hat, wäre fast ein Gang in eine zerstörte Welt, wenn man nicht hier und da neue Betriebsansiedlungen sähe. Vielleicht sind wir ja auf der Talsohle angekommen und können wieder Hoffnung schöpfen.

Das "Forsthaus Gränert" verfiel schon seit den dreißiger Jahren. Von der schönen Fachwerkkapelle gibt es nur noch Bilder; außer der Landschaft ist vom ganzen Anwesen nichts mehr zu retten.
Die Dampferausflüge zum "Seepavillon Gränert", die der Brandenburger Schriftsteller C.U.Wiesner beschrieben hat, und an die viele Alte sich gern und freundlichst erinnern, sind Geschichte - aber vielleicht auch Hoffnung auf künftige Blüte.

Die Chronik von 1926 schreibt:
"Wohl kaum ein Werk ist so schön gelegen wie das unsrige. Es liegt fast auf einer Insel, nur ein schmaler Streifen Landes verbindet es mit dem Festland. Der Angler und der Wasserfreund kommen zu ihrem Rechte, die Jugend wächst gesund heran, freundliches Grün zieht sich bis zu den Arbeitsstätten hin. Aus vielen Gegenden sind wir hier zusammengewürfelt, aber auch die, denen dies Land nicht die engere Heimat ist, werden allmählich den Zauber empfinden und das seenreiche Havelland lieb gewinnen.“
Und dann fährt sie mit einem ganz aktuellen Wunsch fort: „Möchte dem Werk eine stete Weiterentwicklung beschieden sein und möge es immer eine Arbeitsstätte bleiben, in der ein Jeder mit Stolz und Freude mitwirkt."

Friedrich Teubner
Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde

12.03.1992 / 14.5.2005